Darum ging es beim ersten Abend zum Reformationsjubiläum am Di. 24.1.2017 in der methodistischen Eben-Ezer-Kapelle in Mittelstadt. Referent war Pfarrer Dietmar Hermann; musikalisch begleitete der katholische Kirchenchor der Kirchengemeinde Pliezhausen unter der Leitung von Dietmar Pietsch.
Der Apostel Paulus wendet sich im Römerbrief (6, 18-20) gegen die Verabsolutierung des Gesetzes durch die frommen Pharisäer und gibt folgende Antwort auf die Frage, wie das durch die Sünde zerrüttete Verhältnis zwischen Gott und den Menschen wieder in Ordnung kommt:
Wie nun durch die Sünde des Einen die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt. (…), so dass (…) herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unsern Herrn.
Von heute aus gesehen, ist kaum vorstellbar, wie und warum über der Frage von Rechtfertigung und Gnade die Einheit der Christen zerbrochen ist. Dietmar Hermann führte in einem historisch-theologischen Exkurs zum Kern des Problems, das vor allem der Kirchenvater Augustinus , der doctor gratiae, wie er genannt wurde, in aller Vielschichtigkeit thematisierte. Der Sünder wird gerechtfertigt, also gerecht gemacht, durch die Gnade, wenn er an Jesus Christus glaubt. Aber es bleiben zumindest zwei Fragen: Kann man die Gnade ablehnen, kann man sie verdienen, z. B durch gute Werke? Für Augustinus wird im Laufe seines Lebens klar: der Mensch hat den freien Willen, er kann die Gnade ablehnen; es steht bei ihm, ob er sündigt oder nicht. Und: die Gnade ist gratis, sie kommt dem Tun des Menschen zuvor, d.h., die guten Werke sind nicht die Voraussetzung, sondern die Frucht des Glaubens und der Gnade. Gnade befähigt also zu guten Werken; sie wird angeboten, nicht aufgezwungen. Dietmar Hermann führte hier Schlüsselsätze des Augustinus an: „ du bist ein Kind der Gnade, liebe Gott umsonst, er selbst sei dein Lohn“.
Die jahrhundertealte Kontroverse um die Rechtfertigung, die ihren Schwerpunkt in der Zeit der Reformation hatte, wurde 1999 beigelegt, als die Hauptkontrahenten, die römisch-katholische Kirche und der Weltbund der lutherischen Kirchen (die methodistischen Kirchen traten 2006 bei) die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre feierlich unterzeichneten. „Nachbeben“ in der theologischen Diskussion gibt es allerdings bis heute, wie es auch in einigen Äußerungen anklang, denn es geht auch um das Kirchenverständnis und die Auffassung von den Sakramenten (Dietmar Hermann: sie sind Gnadenmittel!), und in diesen Bereichen gibt es zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen durchaus noch Unterschiede, – die aber – und das wäre wünschenswert – die gelebte Ökumene nicht beeinträchtigen sollten. Die Rechtfertigung, so führte Pfarrer Hermann abschließend aus, ist das Werk des dreieinigen Gottes, aber gute Werke sind nicht obsolet, sie sind nötig, denn „nur durch gute Werke wird Gesellschaft gestaltet.“
Angela Madaus