Die Wiederentdeckung der Guten Nachricht, des Evangeliums in der Reformation – wie setzen wir das heute um? Durch effizientere Strukturen, weniger Bürokratie, mehr Demokratie? Ja, sicher auch. Wie andere Organisationen oder auch Firmen müssen sich Kirchen immer wieder „neu erfinden“, sonst siechen sie als Fossilien dahin und sind irgendwann nur noch im Museum zu bewundern. Aber, das alles führt nicht dahin zu erkennen und zu leben, was Kirche Jesu Christi ausmacht. Pastor Ulrich Ziegler nennt in der Auftaktpredigt seine Überzeugung, dass das Wort Gottes den Kern ausmacht. Dass wir eine Nachfolgegemeinschaft Jesu sind, Gott loben und die Gaben der Erde mit Menschen zu teilen haben. All das können wir tun über das hinweg, was Kirchen dieser Erde noch trennt. Und indem wir es tun, leben wir „Kirche-sein“.
Die drei ökumenischen Gesprächsabende vom 24. – 26. Januar 2017 in der Eben-Ezer-Kapelle in Mittelstadt griffen die Themen Rechtfertigung, die Freiheit des Christenmenschen und das Abendmahl auf. Sie wurden in wunderbarer Weise von den Sängerinnen und Sängern der katholischen, evangelischen und evangelisch-methodistischen Chöre unter der Leitung von Dietmar Pietsch und Nikolai Ott bereichert.
Spielte die Erfindung des Wäschetrockners in der Geschichte der Ökumene in Württemberg eine entscheidende Rolle? Mit einem Augenzwinkern kommt mir die Frage beim Schreiben dieses Berichtes in den Sinn. Was es damit auf sich hat? Dazu später mehr. Durchaus spannend wurden wir mitgenommen in die Geschichte der damaligen Zeit, als die Ständeordnung galt, in der wenige beten, einige „wehren“ und viele arbeiten. An die Grenze von Mittelalter zur Neuzeit, als gerade erst der Buchdruck erfunden worden war. Messen werden in lateinischer Sprache gehalten, das Wissen um die Inhalte der Bibel ist meist dem Klerus vorbehalten, der Ablasshandel blüht, Abendmahl feiert der Priester stellvertretend für die Gemeinde.
Von heute aus gesehen, ist kaum vorstellbar, wie und warum während der Reformation über der Frage von Rechtfertigung und Gnade die Einheit der Christen zerbrochen ist. Pfarrer Dietmar Hermann führte in einem historisch-theologischen Exkurs zum Kern des Problems, das vor allem der Kirchenvater Augustinus , der doctor gratiae, wie er genannt wurde, in aller Vielschichtigkeit thematisierte. Der Sünder wird gerechtfertigt, also gerecht gemacht, durch die Gnade, wenn er an Jesus Christus glaubt. Aber es bleiben zumindest zwei Fragen: Kann man die Gnade ablehnen, kann man sie verdienen, z. B durch gute Werke? Für Augustinus wird im Laufe seines Lebens klar: der Mensch hat den freien Willen, er kann die Gnade ablehnen; es steht bei ihm, ob er sündigt oder nicht. Und: die Gnade ist gratis, sie kommt dem Tun des Menschen zuvor, d.h., die guten Werke sind nicht die Voraussetzung, sondern die Frucht des Glaubens und der Gnade. Gnade befähigt also zu guten Werken; sie wird angeboten, nicht aufgezwungen.
Vor 500 Jahren veröffentlicht Martin Luther seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Er unterscheidet zwischen einem äußeren Menschen, der in fleischlicher Gestalt in Zeit und Welt existiert und einem inwendigen geistlichen Menschen. Der inwendige Mensch, die Seele, kann nur in Christus leben und aus diesem Glauben erwachsen gute Werke. So kann er formulieren: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Pfarrerin Gerlinde Henrichsmeyer beschreibt, wie der Glaube an Christus und sein Geschenk des Sterbens für uns als positives Vorzeichen analog der Regeln in Mathe alles in der Klammer, also im Leben, ins Positive verändert.
Hier in unserer Gegend, in der Aufklärung, Rationalismus und Pietismus dafür sorgten, dass die evangelischen und reformierten Gemeinden dem Abendmahl eher reserviert gegenüberstanden, war es bis vor 40 / 50 Jahren nicht selten der Fall, dass man den jeweils anderen Glaubensbrüdern einen Anlass zum ärgern bot. Musste doch gerade am Hohen Feiertag der Anderen dringend der Mist gefahren oder die Wäsche rausgehängt werden. Glücklicherweise sind diese Zeiten überwunden, und sicher nicht nur, weil es inzwischen den Wäschetrockner gibt. Pastor Ulrich Ziegler erläutert, dass in mühsamen, Jahre dauernden kleinschrittigen Prozessen über das 2. Vatikanische Konzil, die Leuenberger Konkordie, die Vereinbarung von reformierter und lutherischer Kirche gemeinsam das Abendmahl zu feiern und letzten Endes in der Lima-Erklärung von 1982 – der auch die methodistische Kirche beitrat – die Basis für die weltweite Ökumenische Arbeit gelegt wurde. Seither wird die Taufe gegenseitig anerkannt.
Man hat allerdings auch festgestellt, dass es unüberwindliche Unterschiede gibt. Der fruchtlose Versuch eine gemeinsame Formel zu finden wurde aufgegeben. Man hat sich darauf verständigt das jeweils Andere unangefochten stehen lassen zu können – wenn auch eine Angleichung durchaus gewollt ist. Was uns aber im Abendmahl über alle Grenzen vereint: Christus lädt uns ein, es ist Danksagung an Gott, wir vergegenwärtigen Christus und den heiligen Geist und es vereint die Glaubenden in der Gemeinschaft mit Christus untereinander und mit Jesu Kirche weltweit.
Und so stimmen die Chöre in das Lob Gottes ein, bitten darum „Reicht euch die Hand“ und stellen in Aussicht „so erlebt ihr einen Vorgeschmack des Himmels“. Und das ist jede Veränderung – wie sie auch aussehen mag – allemal wert.
Angela Madaus/Doris Kütterer